Gästeführer sind per Definition die Botschafter ihrer Stadt. Aber ihr Aktionsradius ist nun einmal zahlenmäßig begrenzt. Wäre der Multiplikatoreffekt nicht deutlich größer, wenn es gelänge, alle – oder zumindest die meisten - Bürgerinnen und Bürger als Botschafter ihrer Stadt zu gewinnen? So lautete in etwa eine der Fragestellungen, die im Tourismusbeirat der Stadt Worms zur Umsetzung des Tourismuskonzepts „Worms 4.0“ diskutiert wurden. Aus der Frage wurde eine Idee, die schließlich im Handlungsfeld „Binnenmarketing“ in eine Maßnahme mündete: der Aktionstag „Worms für Wormser“ mit einem großen Angebot an kostenlosen, öffentlichen Stadt- und Themenführungen.
Ziel war es, einer großen Zahl von Bürgerinnen und Bürgern die Vielfalt der Nibelungenstadt erlebbar zu machen, einschließlich ihres historischen, kulturellen und wirtschaftlichen Erbes. Schließlich stehen rund um den Kaiserdom nicht nur zahlreiche Bau- und Kunstdenkmäler, in seinem Schatten wurde auch Weltgeschichte geschrieben. Ein Papst wurde gewählt, ein anderer abgesetzt, Einsatz und Treue der Bürger wurde mit kaiserlichen Privilegien geehrt, Martin Luther verweigerte den Widerruf, Wormser Wein trat von hier seinen Siegeszug um die Welt an und die Lederindustrie brachte eine ganze Region in Lohn und Brot. Und hier war eine der ältesten und bedeutendsten jüdischen Gemeinden nördlich der Alpen zu Hause und hinterließ ein Weltkulturerbe.
Der Aktionstag war ein Gemeinschaftsprojekt der Tourist Info Worms, der Interessengemeinschaft Wormser Gästeführer (IWG) und der Firma VGW Wonnegau als Betreiber des Nibelungen-Bähnchens. Das Konzept war dabei so simpel wie genial. Von 10.00 bis 17.30 Uhr wurden am 01.11.2022 im Stundentakt an unterschiedlichen Treffpunkten verschiedene Thementouren angeboten. Dazu hatte die Interessengemeinschaft Wormser Gästeführer nicht nur ihr Schatzkästlein bewährter Stadt- und Themenführungen geöffnet, sondern auch einige neu konzipierte Führungen im Angebot.
Zu den Klassikern unter den Führungen gehören in Worms „Zu Fuß durch zwei Jahrtausende“ – Stadtgeschichte anhand der wichtigsten Sehenswürdigkeiten, „UNESCO Weltkulturerbe – die jüdischen Monumente in Worms“ mit Besuch der Synagoge, des jüdischen Viertels und des Friedhofs „Heiliger Sand“, „Liebfrauenkirche – Gotik im Weinberg“ – die gotische Wallfahrtskirche inmitten des Weinbergs der original Liebfrauenmilch - und schließlich „Schloss Herrnsheim – Auf den Spuren der Dalberger“ rund um den Stammsitz der Ersten Erbritter des Heiligen Römischen Reiches.
Die Vielfalt der Stadt spiegelt sich aber besonders in den ausgewählten Themenführungen wider: „Worms – Stadt des Leders“ – der Einfluss der Lederindustrie auf die Entwicklung der Stadt im 19. Jahrhundert und „Kiautschau – China in Worms?“ – über jene, im Volksmund liebevoll so genannte, Siedlung für Arbeiter der Lederindustrie, die Anfang des 20. Jahrhunderts errichtet wurde. Die „Weinstadt Worms im Spiegel der Jahrhunderte“ wurde den Gästen rund um die neugestaltete, historische Weinlage „Luginsland“ mit ihren historischen Rebsorten nahegebracht und „Türme, Tore, Mauern“ üben seit jeher eine besondere Faszination aus, insbesondere wenn sie aus dem frühen 10. Jahrhundert stammen. „Ohne Frauen geht es nicht“ widmete sich allgemein und am Beispiel ausgewählter Wormserinnen ihrer Rolle durch die Zeit und anlässlich des Jahrestages des Wormser Konkordats durfte natürlich eine Führung durch die Sonderausstellung „Spiel um die Macht – von Canossa nach Worms“ nicht fehlen.
Die Auswahl der Themen und das Konzept des Aktionstages trafen offensichtlich voll ins Schwarze, denn die Resonanz, nicht nur zahlenmäßig, war zu allen zwölf angebotenen Führungen überwältigend. Die Gelegenheit, auch einmal die nicht alltäglichen Winkel und Themen der Stadt kennenzulernen, wurde dankbar aufgenommen. Viele Gäste nutzten aber auch die Möglichkeit, an mehreren Führungen teilzunehmen und durchgängig wurde der Wunsch nach Wiederholung dieser Aktion geäußert.
Von dieser Idee waren auch die kleinen Drachenjäger begeistert, an die die IWG natürlich auch gedacht hatte. Mit der Kinderführung „Auf Drachenjagd in Worms“ erlebten Kinder und ihre Eltern eine spannende Suche nach dem Wormser Wappentier, dass in vielfältigen Varianten im Stadtbild zu finden ist. Nur strahlende Gesichter waren zu sehen, als sich nach erfolgreicher Jagd die Drachenjäger ein Erinnerungsstück aus dem Drachenschatz der Gästeführerin nehmen durften.
Zur gleichen Zeit machten sich die Teilnehmer der letzten Führung auf den Weg, um so manches Detail, dem man tagsüber kaum Beachtung schenkt in einem anderen Licht zu sehen. Mit einer „Taschenlampenführung“ fand dieser rundum gelungene Aktionstag seinen Abschluss.
Joachim Graen (IWG)